5. Februar 2025
Was Backen und die allgemeine Relativitätstheorie gemeinsam haben
Warum ist es manchmal so schwierig, Zeit zum Backen zu finden? Nun, ich denke das Alles hängt mit der allgemeinen Relativitätstheorie zusammen, mit der Wechselwirkung zwischen Materie, Raum und Zeit.
Jetzt, nachdem ich das Weltraum-Meisterwerk „Interstellar“ nach vielen Jahren nocheinmal geschaut und endlich verstanden habe, wird mir klar: Das Streben nach Open Crumb und Schwarze Löcher sind Singularitäten, schier unerreichbar, massiv, unendlich anziehend und unendlich schwer zu beschreiben.
In einfachen Worten formulierte das der bekannte Physiker und Zungenakrobat Albert Einstein bereits treffend: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Brötchen.“
Manchmal zieht sich nämlich nicht nur der Teig, sondern auch die Zeit wir Kaugummi – vorzugsweise an Sonntagen kurz vor dem Frühstück.
4.45 Uhr. Der Wecker vibriert voller Hass und ich verschiebe das Aufstehen auf die bereits voreingestellte Ausweichzeit 4:51 Uhr. Während zehn weitere Weckversuche ebenfalls scheitern, kommt es mir so vor, als sei lediglich eine einzige Minute vergangen. Die unendlich große Schwerkraft meiner durchgelegenen Ikeamatratze macht es mir unmöglich, mich zu bewegen und das Startfenster für einen erfolgreichen Backtag wird kleiner und kleiner. Natürlich werden alle anderen Familienmitglieder von der rhytmischen Melodei mindestens Semi-Wach und ich wünsche mir sehnlichst genau dieses eine Paralleluniversum, in dem alle um mich herum friedlich bis 10.00 Uhr schlafen.
T minus 3 Stunden.
Mit einem geschickten Swing-by-Manöver bewege ich meinen Uranus Richtung Treppe und komme schließlich in der Küche an. Hier, im interstellaren Raum, wird mir die Nähe zum absoluten Nullpunkt mit dem Blick auf das Thermometer bewusst: 18 Grad. In meinem Kopf überschlage ich die Temperatur der Schüttflüssigkeit, die ich benötigen werde um eine einigermaßen ausreichende Gare bis zur Punktlandung zu erzeugen. Ich lande bei der ungefähren Temperatur von Plasma an der Sonnenoberfläche.
Mit eingeübten Handgriffen kann ich diverse Vorteige in der Knetmaschine kombinieren während ich Geschirrspüler, Waage und Wasserkocher gleichzeitig befülle. In meiner Erinnerung sind dabei lediglich 10 Minuten vergangen aber beim Blick auf die Uhr wird mir klar, dass sich die Zeit um mich herum deutlich schneller bewegt hat, was eindeutig am fehlenden Kaffee lag.
T Minus 2 Stunden.
Der Hauptteig ist mittlerweile im Inneren der Venus gelandet, wo bei angenehmen 38 Grad der sowieso bereits mehr als warme Teig weiter an die Grenzen seiner mechanischen Belastbarkeit getrieben wird. Währenddessen beaufsichtige ich verschiedene kulinarische Experimente für neue Rezepte und stelle bei der kontinuierlichen Dokumentation fest, dass die Hefe dann auch alle wäre. Also mittendrin das Konzept ändern und die Systeme auf Sauerteigzufuhr umstellen. Dehnen, während das Leben sich faltet.
T minus 1 Stunde.
In immer schneller werdender Umlaufbahn umkreise ich die mittlerweile in Boxen gestapelten Experimente und muss nun langsam die Brötchen formen, wenn sich heute an der allgemeinen Versorgungssituation noch etwas ändern soll. Auch hier zeigen sich immer stärker interessante physikalische Phänomene, wie der Fakt, dass ich Teiglinge offensichtlich nur mit Rechts rundschleifen kann. Panisch überlege ich, wie ich die Hitzezufuhr während der Stückgare nochmals optimieren kann. Dabei fällt mir ein, dass der Ofen immernoch auf 38 Grad läuft. Triebwerke hochfahren und hoffen, dass die Schnellaufheizfunktion zusammen mit dem immernoch laufenden Geschirrspüler keine Sicherung auslöst.
T minus 0.
Die Geräusche im oberen Hausbereich verraten das Erwachen der restlichen Besatzung aus dem Kälteschlaf. Es gibt kein zurück. Die Brötchen müssen in den Ofen. Natürlich weis ich, dass die Dinger noch mindestens eine halbe Stunde stehen müssten um auch nur ansatzweise fotogen, geschweige denn essbar, zu sein. Ich nähere mich dem Ereignishorizont, öffne die Ofenklappe und sende mit einem verzweifelten Madre Unser die letzte Botschaft, bevor die Singularität mich verschluckt. Der Ort, an dem Raum und Zeit gleichermaßen unbedeutend werden. Hier geht es nur noch ums Überleben, um das Vermeiden der Schande, dass heute einfaches Industrietoast gegessen wird. (Ok, das gab es halt auch schon gestern).
Ich öffne nach 23 Minuten – die mir vorkommen wie 45 – die Ofenklappe, während hinter mir am Esstisch das Chaos ausbricht. 12 Brötchen, mit der vernarbten Oberfläche der Mondrückseite und einer extremen Dichte. Würde ich sie werfen, würden sie ziemlich sicher ein veritables Loch in jede menschenbekannte Materie reißen. Nicht nur meine Begeisterung ist ein winzig kleiner Punkt am Horizont, aber so ist das nunmal, wenn man die Grenzen des Machbaren verschieben will.
Gegen alle Physik, gegen die Zeit und gegen die Relativitätstheorie kommt niemand an: Wer zu spät kommt, den bestraft das Brötchen.